Cologny – Klaus Schwab, der Gründer und langjährige Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums (WEF), hat seinen Rücktritt angekündigt und damit einen Wendepunkt in der Geschichte einer Organisation eingeleitet, die seit ihrer Gründung im Jahr 1971 eine zentrale Rolle bei der Gestaltung globaler wirtschaftlicher und politischer Diskussionen spielt. Schwabs Abgang wirft Fragen über die zukünftige Ausrichtung des WEF auf, insbesondere in einer Zeit, die von multiplen Krisen geprägt ist, darunter die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie, der Klimawandel und wachsende geopolitische Spannungen. Seine Entscheidung markiert das Ende einer Ära für das Forum, das unter seiner Führung von einem kleinen Treffen in Davos zu einer der einflussreichsten Plattformen der Welt heranwuchs.
Der Visionär hinter Davos
Schwab gründete das WEF mit der Idee, eine Plattform zu schaffen, auf der Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft Lösungen für globale Herausforderungen entwickeln könnten. Was als bescheidene Konferenz begann, entwickelte sich unter seiner Leitung zu einem jährlichen Ereignis, das als Davos-Treffen bekannt wurde und einen Symbolcharakter für den Dialog zwischen globalen Eliten erhielt. Er prägte den Begriff des „Stakeholder-Kapitalismus“, der Unternehmen dazu auffordert, nicht nur die Interessen ihrer Aktionäre, sondern auch die der Gesellschaft und der Umwelt zu berücksichtigen. Diese Idee beeinflusste weltweite wirtschaftliche Debatten und prägte die Agenda des WEF nachhaltig. Unter Schwabs Führung startete das Forum Initiativen wie die Vierte Industrielle Revolution, die sich mit den Auswirkungen von Technologien wie künstlicher Intelligenz und Robotik befasste, sowie Projekte zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Bewältigung globaler Gesundheitskrisen wie der Pandemie. Seine Fähigkeit, Beziehungen zu Staatschefs, CEOs und Intellektuellen aufzubauen, machte ihn zur zentralen Figur des WEF, oft als „Mr. Davos“ bezeichnet.
Ein Forum unter Beschuss
Trotz seiner Erfolge blieb das WEF unter Schwabs Führung nicht ohne Kritik. Gegner warfen dem Forum Elitismus vor und argumentierten, dass das jährliche Treffen vor allem den Interessen der Reichen und Mächtigen diene, während die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung ignoriert würden. Hohe Teilnahmegebühren und eine exklusive Gästeliste verstärkten den Eindruck, dass Davos eine Veranstaltung für die globale Oberschicht sei. Zudem wurde dem WEF vorgeworfen, eine neoliberale Agenda zu fördern, die durch Deregulierung und marktorientierte Politik soziale Ungleichheit und wirtschaftliche Instabilität verstärke. Schwabs Initiative „Great Reset“, die nach der Pandemie eine umfassende Neuordnung der Weltwirtschaft vorschlug, stieß auf heftigen Widerstand – manche sahen darin einen technokratischen Ansatz, der demokratische Prozesse untergräbt. Auch die mangelnde Transparenz des Forums, etwa bei der Finanzierung und Entscheidungsfindung, wurde wiederholt bemängelt. Schwabs Rücktritt bietet nun die Gelegenheit, auf diese Kritik einzugehen und das WEF neu auszurichten.
Globale Krisen als Prüfstein
Der Zeitpunkt von Schwabs Rücktritt, der am 22. April 2025 bekannt gegeben wurde, fällt in eine Phase tiefgreifender globaler Unsicherheit. Die Weltwirtschaft kämpft mit den Nachwirkungen der Pandemie, während Inflation und Lieferkettenprobleme die Erholung behindern. Die Klimakrise verlangt dringende Maßnahmen, und geopolitische Spannungen, wie der Krieg in der Ukraine oder die Rivalität zwischen den USA und China, erschweren die internationale Zusammenarbeit. In diesem Kontext wird Schwabs Rückzug als potenzieller Wendepunkt für die Rolle des WEF in der globalen Wirtschaftsdiplomatie betrachtet. Das Forum steht vor der Aufgabe, inklusiver zu werden und Stimmen aus Entwicklungsländern, kleinen Unternehmen und der Zivilgesellschaft stärker einzubinden. In einer Zeit rasanter technologischer Innovationen muss es seine Position als Vordenker festigen und ethische Fragen zu Technologien wie KI und Blockchain adressieren. Die Förderung globaler Zusammenarbeit wird angesichts wachsender Spannungen immer schwieriger, und das WEF muss seine Legitimität durch mehr Transparenz stärken.
Die Suche nach einem Nachfolger
Schwabs Rücktritt könnte weitreichende Folgen für globale wirtschaftliche Themen haben. Das WEF hat lange die Agenda für internationale Wirtschaftsdebatten bestimmt, und eine neue Führung könnte diesen Kurs verändern. Die Verpflichtung zum Stakeholder-Kapitalismus könnte zugunsten anderer Modelle wie sozialer Marktwirtschaften oder nachhaltigem Wachstum hinterfragt werden. Der Umgang mit der Digitalisierung könnte sich je nach Priorität des neuen Leiters verschieben – ob auf technologischen Fortschritt oder strengere Regulierung gesetzt wird. In der Klimapolitik könnte das Forum entweder seine Umweltanstrengungen verstärken oder den Fokus auf wirtschaftliche Erholung legen. Die Suche nach Schwabs Nachfolger hat begonnen, wobei Namen wie Børge Brende, Christine Lagarde oder Satya Nadella im Gespräch sind, die jeweils eine andere Richtung einschlagen könnten. Ohne Schwabs persönliches Netzwerk und Einfluss könnte die Rolle des WEF als Vermittler zwischen Unternehmen, Regierungen und der Zivilgesellschaft geschwächt werden.
Ein Vermächtnis in Frage
Klaus Schwab war mehr als nur der Vorsitzende des WEF – er war sein Gesicht und seine treibende Kraft. Seine Bücher, etwa „Die Vierte Industrielle Revolution“ und „Stakeholder-Kapitalismus“, prägten das Denken von Führungskräften weltweit. Sein Rücktritt bedeutet den Verlust einer Symbolfigur, die das Forum über Jahrzehnte geformt hat. Die Organisation muss sich nun an eine sich wandelnde Welt anpassen, auf ihre Kritiker eingehen und ihre Relevanz sichern. Schwabs Vermächtnis ist unbestreitbar, aber die kommenden Jahre werden zeigen, wie das WEF ohne ihn navigiert.
Quellen:
Cointelegraph
Reuters
The Financial Times
Deutsche Welle
World Economic Forum