Berlin – Nach dem überraschenden Scheitern von CDU-Chef Friedrich Merz im ersten Wahlgang zur Wahl des Bundeskanzlers soll am Nachmittag des 6. Mai 2025 um 15.15 Uhr ein zweiter Wahlgang im Bundestag stattfinden. Dies teilten die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Lars Klingbeil, und Union, Jens Spahn (CDU), mit. Merz, der im ersten Durchgang sechs Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlten, wird erneut antreten. Die Entwicklung sorgt für politische Spannungen und wirtschaftliche Unsicherheit, während die Fraktionen um eine schnelle Lösung ringen.
Einigung auf zweiten Wahlgang
Die Entscheidung für einen zweiten Wahlgang kam nach intensiven Verhandlungen zwischen Union, SPD, Grünen und Linken zustande, die sich auf eine Änderung der Tagesordnung einigten. Spahn betonte die Dringlichkeit: „Ganz Europa, vielleicht sogar die ganze Welt, schaut auf diesen zweiten Wahlgang.“ Er appellierte an die Abgeordneten, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. SPD-Chef Klingbeil zeigte sich zuversichtlich, dass Merz diesmal die erforderliche Mehrheit erreichen werde. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann dankte Grünen und Linken für ihre Zustimmung zur zeitnahen Abstimmung.
Grüne und Linke: Unterstützung mit Vorbehalten
Die Grünen machten deutlich, dass sie Merz nicht unterstützen werden. Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Haßelmann erklärte, Merz’ Pläne gingen „in eine falsche Richtung für unser Land“. Dennoch signalisierte die Fraktion Kooperationsbereitschaft, um den Prozess zu beschleunigen. Die Linke, vertreten durch Co-Vorsitzende Martina Schwerdtner, betonte die Bereitschaft zu Gesprächen, stellte aber klar, dass keine Absprachen mit der AfD toleriert würden.
Historisches Scheitern im ersten Wahlgang
Das Scheitern im ersten Wahlgang, bei dem Merz nur 310 von 316 benötigten Stimmen erhielt, markiert einen historischen Tiefpunkt: Nie zuvor war ein Kanzlerkandidat im ersten Durchgang gescheitert. Die unionsgeführte Koalition aus CDU/CSU und SPD verfügt über 328 Sitze, weshalb Beobachter wie die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch vermuten, dass vor allem SPD-Abgeordnete Merz’ Wahl verhinderten. „Eine Fraktionsführung muss ihre Leute unter Kontrolle haben“, kritisierte Münch im Deutschlandfunk und wies auf mögliche Unzufriedenheit mit Merz als Motiv hin. In der SPD-Fraktion wies man die Verantwortung zurück: „Wir gehen bei uns von voller Zustimmung aus“, hieß es aus dem Umfeld Klingbeils.
Wirtschaftliche und politische Folgen
Die politische Unsicherheit schlug sich wirtschaftlich nieder. Der Deutsche Aktienindex (Dax) fiel nach der Bekanntgabe des Ergebnisses um fast zwei Prozent. DIHK-Präsident Peter Adrian nannte das Scheitern ein „verheerendes Signal“, das Investitionen und Arbeitsplätze gefährde. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks forderte eine handlungsfähige Regierung, während der Digitalverband Bitkom von einem „Tiefpunkt“ in der Geschichte des Bundestags sprach. Ökonom Jens Südekum warnte vor einem geschwächten Wirtschaftsstandort Deutschland, sollte die Regierungsbildung weiter verzögert werden.
Reaktionen und Forderungen
Die AfD nutzte das Scheitern Merz’, um Neuwahlen zu fordern, während CSU-Chef Markus Söder an die demokratischen Fraktionen appellierte, eine stabile Regierung zu ermöglichen. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) nannte den Vorgang „unverantwortlich“ und verwies auf die dringende Notwendigkeit einer handlungsfähigen Regierung, etwa für Investitionen aus dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen des Bundes. Grünen-Vorsitzende Ricarda Brantner warnte, dass die Schwächung der zukünftigen Regierung das Vertrauen in die Demokratie untergrabe.
Juristische Klärung und Ausblick
Juristisch wurde geprüft, ob ein zweiter Wahlgang noch am selben Tag verfassungsrechtlich möglich ist. Nach Einschätzung von Bundespräsidialamt, Bundestagsverwaltung und Justizministerium ist dies zulässig, sofern eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag zustimmt. Die bisherige Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt geschäftsführend im Amt, bis ein neuer Kanzler gewählt ist. Der Ausgang des zweiten Wahlgangs bleibt ungewiss. Merz genießt laut Reuters überwältigenden Rückhalt in der Unionsfraktion, doch die fehlenden Stimmen aus dem ersten Durchgang lassen Zweifel an einer schnellen Einigung aufkommen. Die kommenden Stunden werden zeigen, ob Merz die notwendige Mehrheit mobilisieren kann.
Quelle:
Berichterstattung Deutschlandfunk